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Erinnerungen I - Meine Kindheit

I von Minna Eichhorn


Minna EichhornIch bin am 3.6.1914 geboren. Vom Hörensagen kann ich folgendes schreiben: Mein Vater war damals in Potsdam zur militärischen Ausbildung und der erste Weltkrieg hat begonnen im Sommer 1914. Also, meine ersten Lebensjahre verlebte ich unbewußt, aber ganz bestimmt wohlbehütet und geliebt in meinem Elternhaus bei Mutter, Großvater und meinem Bruder, der drei Jahre älter ist als ich.

Ich kann mich erinnern, ich werde damals so 5 Jahre alt gewesen sein, daß meine Mutter mir ein Bild gezeigt hat, auf dem ein Mann abgebildet war und sie hat versucht, mir zu erklären, daß dies mein Papa sei und daß er bald heimkäme. Aber ich konnte ja das alles nicht verstehen, bis zu dem Tag, an dem mein Vater heimkehrte.

In unserer Stube standen zwei Betten. Im einen schlief der Großvater und im anderen war ich. Eines Nachts klopfte es ganz laut ans Fenster. Der Großvater stand auf und zündete eine Kerze an und rief im Hausgang nach meiner Mutter und auch mein Bruder, der oben schlief, kam runter. In die Stube trat ein großer Mann mit einem Bart und einem langen Mantel und steuerte geradewegs auf mein Bett los. Ich weiß es noch ganz genau, ich hatte furchtbare Angst und bin unter die Bettdecke gekrochen. Ich konnte das alles nicht verstehen.

Mutter deckte den Tisch mitten in der Nacht und alle waren so froh und erzählten, nur ich lag in meinem Bett und konnte das alles nicht verstehen. Ich muß dann wieder eingeschlafen sein. Aber am anderen Morgen setzte sich doch dieser Mann zu uns an den Kaffeetisch und er wollte mich sogar auf seinen Schoß nehmen. Ich habe aber bei meinem Großvater Schutz und Zuflucht gesucht. Und der versuchte, mir die Veränderung in unserer Familie zu erklären und es war für mich alles so schwierig. Aber mein Vater hatte doch bald durch gutes Zureden meine Liebe und Zuneigung gewonnen. Weil ich noch ein Kind war und meinen Vater mit Wissen noch nie gesehen hatte, war mir bestimmt bis dahin nicht aufgefallen, daß in unserer Familie jemand fehlte. Die Jahre nach dem ersten Weltkrieg waren bestimmt auch damals nicht leicht, aber wir Kinder hatten ja unsere Eltern und wir haben damals diese Not nicht so empfunden.

Außer der Heimkehr meines Vaters war bis dahin nichts Erwähnenswertes für mich gewesen. Wenn meine Eltern auf dem Feld arbeiteten, dann war ich meistens auch dabei oder ich spielte mit den Nachbarskindern in unserer Straße. Aber in dem Haus gegenüber wohnte ein altes Mütterchen, Haschgee's Mutter haben wir sie genannt. Ihren wirklichen Namen habe ich etliche Jahre später, als ich selbst lesen konnte, auf dem Friedhof entdeckt. Da stand auf ihrem Grab ein Holzkreuz mit dem Namen Karoline Bautz. Dieses alte Mütterchen hatte für mich eine gewisse Anziehungskraft. Ich glaube, sie war sehr einsam. Sie saß oft auf der Treppe und sprach mit sich selbst. Und wenn sie mich sah, rief sie, ging ganz schnell ins Haus und gab mir als Willkommensgruß meist 2 Zuckerklümpchen in die Hand. Dann zog sie den Sack, den sie als Unterlage benutzt hatte, ein wenig auseinander, damit ich nicht auf die kalten Steine zum Sitzen kam. Da saßen wir zwei ganz dicht zusammen und sie konnte Geschichten erzählen, aber ganz andere, wie sie der Großvater wußte. Nur hatten ihre Geschichten meistens ein furchtbares Ende. Sie erzählte zum Beispiel gern von den Haare (Zigeuner), die ja damals oft da waren. Daß sie wieder Kinder gestohlen hatten und daß Eltern ihre Kinder an sie verkauft hatten, weil sie ungezogen waren, und daß diese Kinder nie wieder nach Hause kamen - und das waren so die harmlosesten Sachen. Ich konnte mit manchem nicht klarkommen und es hat mich sehr belastet.

Abends, wenn der Großvater und ich im Bett lagen, dann habe ich's erzählt und er verstand es, so manches eben anders darzustellen. Er sagte, daß die Haare selbst so viele Kinder hätten und von uns gar keine brauchen könnten. Die Haschgee's Mutter sei schon so alt und das, was sie mir erzählt, gar nicht alles so richtig; es sei besser, wenn ich gar nicht so oft zu ihr ginge. Ja, der Großvater hatte recht, aber die guten Vorsätze hielten bei mir nicht lange. Nach ein paar Tagen habe ich ihr doch schon wieder Gesellschaft geleistet. Da hat sie etwas erzählt, was auch mein lieber Großvater mir nicht ausreden konnte. Sie hat mich gefragt, ob ich es die Nacht gehört hätte; auf Janes Berg hätte die ganze Nacht der Quikvogel geschrien und das sei der Totenvogel, der ruft: "Komm mit, komm mit" und dann muß jemand sterben. Aber der Großvater hat mir damals erklärt, daß es ein Käuzchen war; eben ein Nachtvogel, der tagsüber schlafen würde. Aber, stellt Euch vor, am anderen Mittag schrien die Ziegen noch, weil sie nicht gefüttert waren und das Mütterchen Ich, mein Großvater, mein Bruder, der Hund Luxwar gestorben. Nachbarn haben sie ein paar Tage später zum Friedhof getragen. Und ich habe von nun an alles in Zweifel gezogen, was der Großvater mir erzählte. Ich habe lange gebraucht, bis ich glauben konnte, daß es ein Zufall war, was ich erlebt habe.

Und nun möchte ich auf eine Frage Antwort geben, die nicht ausgesprochen wird: Warum ich schreibe und was mich dazu bewegt? Wie es kommt, daß ich mich an Einzelheiten zurückerinnern kann, was ich als Kind erlebt habe? Es sind Erinnerungen, die ich selbst schon jahrelang vergessen hatte, weil eben mein Leben ganz andere Anforderungen an mich stellte. Arbeiten und Sorgen, die in der Gegenwart bewältigt werden mußten. Aber nun empfinde ich es so: Es ist Feierabend, Zeit zum Ausruhen, viel Zeit zum Nachdenken, Zeit für Erinnerungen, die nun im hohen Alter so klar und deutlich zurückkehren; die möchte ich nun aufschreiben. Ich bin eben kein Mensch, der die Hände in den Schoß legen kann. Ich möchte Euch allen nur meine Kinder- und Jugendzeit so schreiben, wie ich es erlebt habe.

Die Menschen, die damals in dem Dorf lebten, waren fleißig und sparsam und trotzdem zufrieden und dieses familiäre Zusammenleben gibt es heute nicht mehr. Das hat vor allem die Zusammenlegung der Felder mit sich gebracht. Der gemeinsame Weg zum Feld, ein Gruß, ein paar nette Worte von einem zum anderen Acker... das alles wird's wohl nicht mehr geben. Aber trotzdem: Wenn nun heute vor der Haustür das Auto bestiegen wird, hört man Worte, die es früher nicht gab. Ich meine Hektik und Streß. Ich frage mich: Meine ElternWas muß es nun noch geben, damit die Menschen den Anforderungen gerecht werden? Ich lasse nun diesen Film zurücklaufen. Ich komme sowieso mit dem Tempo des Fortschritts nicht zurecht und will nun weiter schreiben, wie es damals war, in meiner Kindheit, in meinem Elternhaus.

In dem ersten Haus, wenn man von Langenbach kommt, auf der rechten Seite, wohnte ein altes Ehepaar: De Fritzevatter und die Fritzemutter. Ich nehme an, daß beide so im Alter von meinem Großvater waren: So um die 70 Jahre. Die Fritzemutter trug die Zeitung aus und machte so was wie Gemeindediener. Sie ging ab und zu mit der Schelle im Dorf rund und verkündete an verschiedenen Stationen die neuesten Mitteilungen vom Bürgermeisteramt. Aber das alles hat uns Kinder nicht interessiert. Säuhirt war sie auch, und was sie hütete, das waren eben die Säu. Nicht die Schweine; dieses Wort würde irgendwie doch nicht zu dem, was ich nun erzähle, passen. Ich will nun noch schreiben, wie unsere Fritzemutter aussah: Sie war eine große, schmale Frau, schneeweißes Haar, in der Mitte gescheitelt. Meistens trug sie ein dunkles Tuch, eine dunkle Jacke, ein ebensolchen Rock und eine Halbschürze, auf der zwei große Taschen aufgenäht waren. In der einen Tasche hatte sie ein Knäuel Garn und den Strickstrumpf und wenn die Säu mal artig waren, dann hat sie mitten auf der Hessenstraße ein paar Runden gestrickt. So um die Mittagszeit ging sie an unserem Haus vorbei. Um den Hals trug sie an einer Schnur das Horn, in der Hand die Säugasel und sie ging dann mit "Tuut tuut" das Dorf ab. Fast aus jedem Hof kamen die großen und die kleinen Säue und wir Kinder fühlten uns wichtig. Es kam schon mal vor, daß hier und da die Leute auf dem Feld waren. Dann machten wir eben den Stall auf. Wenn so Neulinge dabei waren, die den Weg nicht wußten, mußten wir aufpassen, daß unterwegs keines verloren ging. Bis wir dann in der halben Hintergasse waren, lief ich voraus. Wir hatten ja auch zwei, die mitwollten. Dann ertönte von der Fritzemutter ihrem Haus ein furchtbares Geheul. Ja, der Lux. Nein, den hätten wir auch ohne sein Geheul nicht vergessen. Eins von uns lief voraus und machte ihn von der Kette los. Der Lux war ein großer, schwarzer Hund mit einem Zottelfell. Wir Kinder mochten ihn alle gern. Schön war er nicht, aber treu. Es kam schon manchmal vor, daß so eine alte Sau dachte, sie hätte eben mehr Rechte als ein Neuling. Wenn es Streit gab, dann rannte der Lux los und er stellte sich immer auf die Seite der Schwächeren und dem Urheber biß er dann kräftig in die Ohren. Die Säuwaad war am Waldrand an der Hessenstraße. Wenn Kirschenzeit war, dann hatten wir Kinder ein besonderes Vergnügen. Da standen viele wilde Kirschbäume und wir Kinder konnten nah Herzenslust essen. Je nachdem, wie das Wetter war, blieben wir so zwei Stunden draußen und dann ging es heimwärts. Wir Kinder paßten nun auf, daß wieder alle in ihren richtigen Stall kamen. Wir waren nicht jeden Tag mit den Säuen unterwegs. Wenn eins oder das andere mit aufs Feld mußte, wurde das abgesprochen und irgend jemand fand sich immer, der Zeit hatte und mit den Säuen ging. Eines Tages kam die Fritzemutter nicht und es hieß, sie sei krank. Es dauerte nicht lange, da war sie gestorben. Wir Kinder bedauerten das sehr, aber ich glaube, am allermeisten trauerte der arme alte Lux. Ich hörte ihn Tag und Nacht heulen. Ich habe damals an meinem Vater gebettelt, bis er nachschauen ging, ob er zu Fressen oder Wasser brauchte. Er kam zurück; sein Futternapf war gefüllt, aber scheinbar nicht angerührt. Noch eine Nacht habe ich's gehört und dann war alles still. Ich habe nie erfahren, ob ihn irgend jemand erlöst hat. Von nun an trieben die Leute privat ihre Säue spazieren. Ich tat es auch, aber wie schön war es mit der großen Herde, mit der Fritzemutter und dem guten alten Lux.

Es war im Frühling, als damals diese schöne Zeit für uns Kinder zu Ende ging und wenn wir uns trafen, dann machten wir einen Streifzug durch die Wiesen, in denen bunte Blumen blühten und durch das Wiesental vor dem Burgwald. Da war ein Wassergraben, der in dieser Zeit ziemlich voll Wasser war. Da haben wir Dämme gebaut und das Wasser in die Wiesen abgeleitet. Am Rande des Burgwaldes standen Sträucher, an denen viele Weidenkätzchen blühten. Wenn man Zweige abschnitt und sie klopfte, löste sich die Rinde und wir konnten Pfeifen machen. Wir wußten, wo die ersten Veilchen blühten und haben dann der Mutter ein kleines Sträußchen mit nach Hause genommen. Es gab ja so viel Neues zu entdecken und wir hatten bald den Weg, den wir so oft mit der Fritzemutter gegangen waren, vergessen.

Und Mein Elternhaus in der Langenbacher Straßenun war bald Ostern. Mein Bruder und ich, wir gingen mit einem Korb, um Moos zu holen. Im Hof bauten wir zusammen ein schönes Ostergärtchen, legten die Nester schön mit Moos aus und verzierten den Rand noch mit Blumen. Das machten wir am Samstagabend recht spät, wenn die Hühner in ihrem Stall eingesperrt waren, sonst wäre unsere Arbeit bestimmt umsonst gewesen. Vor lauter Erwartung habe ich schon nicht gut geschlafen. Ich dachte, wenn ich mich ganz früh ans Fenster stelle, müßte ich doch den Osterhasen einmal sehen. Wie lange ich gewartet hatte, ich weiß es nicht. Ich hörte bei uns im Haus eine Tür gehen und ganz sachte schlich sich jemand an unser Ostergärtchen und das war mein Vater. Meine Eltern gingen dann zur Kirche und mein lieber Bruder spielte im Hof Theater. Er konnte sich nicht genug verwundern über die schönen Eier, die der Osterhase gelegt hatte. Ich stand teilnahmslos dabei und hab die Eier nicht angerührt. Der Großvater hat mir dann erklärt, daß doch ein Hase keine Eier legen kann, daß es gefärbte Hühnereier sind, und daß es eben ein alter Brauch ist. Ich hab dann doch meine Eier genommen und bin mit meinem Bruder auf die Rausche gegangen. Dort ging es schon lebhaft zu. Wir begutachteten erst mal gegenseitig unsere Eier. Jeder wollte ja die schönsten besitzen. Dort traf ich meine Freundin Paula und ich hab ihr ganz leise von meiner Enttäuschung erzählt. Die lachte und sagte: "Ei, ich hab doch meiner Schwester Gertrud voriges Jahr beim Eierfärben mitgeholfen, und du glaubst noch an den Osterhas!" Es wird Ostern im Jahr 1920 gewesen sein, denn Paula hat mir erzählt, ihre große Schwester sei auf Besuch gekommen und sie hätte ihr eine Schultasche mitgebracht.

>>> Erinnerungen II - Als ich in die Schule kam >>>


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