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Das Dreimädelhaus - Erinnerungen

I Eine Geschichte von Irma Frühwirth


Nach den Erinnerungen an meine Kindheit und vergangene Jugendzeit befragt, könnte ich von Erfahrungen und harter Arbeit in der Landwirtschaft erzählen, die von meiner Mutter und ihren drei Töchtern verrichtet wurden. In Haus und Garten führte die Großmutter strenges Regiment über den "Fünf-Frauen-Haushalt". Ihren Anweisungen, denen sie meistens mit erhobenem Zeigefinger das nötige Gewicht gab, fügten wir uns mehr oder weniger. Selbst viel später noch, als das "Dreimädelhaus" langsam flügge wurde, wachten beide Frauen mit Argusaugen und unterschiedlichem Erfolg über unsere Tugend.

Aber man sollte auch die kleinen Freuden und Abwechslungen, die das Dörfchen zu bieten hatte, nicht vergessen. So waren zum Beispiel die Kinder in keiner Jahreszeit so bereitwillig für die Feldarbeit zu haben, als zur Kartoffelernte im Herbst. Galt es doch, sich das nötige Kleingeld für die Kirmes zu verdienen. Für jeden mühselig gefüllten Kartoffelsack wurde man mit etwa 50 Pfennig belohnt. Wenn auch damals der heißgeliebte Mohrenkopf nur 5 Pfennig kostete, wurde das sauer verdiente Geld nur zögernd ausgegeben.

Die Auswirkungen des letzten Krieges hat man auch hier verspürt. Waren doch viele Männer zum Kriegsdienst einberufen, so mussten die anfallenden Arbeiten im Stall und Feld von den Frauen und Kindern verrichtet werden. Zu dieser Zeit war man auf die Nachbarschaftshilfe angewiesen, was auch tadellos funktionierte. Es wohnten viele fremde Leute im Dorf, die vor dem Bombenhagel in den Großstädten flohen. So waren auch das Pfarrhaus von der Familie Nack und Hesse aus Köln bewohnt. Da sie bald mit den Dorfbewohnern eng verbunden und äußerst kinderfreundlich waren, konnte man ständig spielende Kinder jeden Alters im Pfarrgarten antreffen. Zu Pfingsten 1944 hat Herr Nack mit den Schulkindern das "Schneewittchen und die 7 Zwerge" eingeübt. Vor Kulissen, gebaut aus Bohnenstangen, Decken und spärlichem Mobilar bemühten wir uns im Pfarrgarten, den Dorfbewohnern unsere schauspielerischen Fähigkeiten zu zeigen. azu hatten wir dann später, in den Jahren nach Kriegsende noch mehrmals Gelegenheit. Der neu gegründete Sportverein brachte zur Weihnachtszeit ein Theaterstück zur Aufführung. Daß dieser schöne Brauch heute nicht mehr aktuell ist, sollte man bedauern. Sorgte er doch auch für die älteren Mitbewohner für eine willkommene Abwechslung.

In der folgenden Winterzeit traf sich die Dorfjugend abends in der Spinnstube, die abwechselnd bei den Mädchen, zumeist in der Küche stattfand. Erlaubte es die Größe des Raumes, wurde das alte Grammophon aufgestellt, um den Burschen mühevoll das Tanzen beizubringen. Die erforderlichen Grundkenntnisse erwarben wir beim Besuch der Tanzschule in Weilmünster. Nach solch ausgedehnten Tanzeinlagen stellte dann die Großmutter am nächsten Morgen verärgert fest, daß der Strickstrumpf kaum gewachsen war. Wie sollte er auch?

Die damaligen Winter waren noch sehr frostig und boten mit viel Eis und Schnee Gelegenheit zu Schlittschuhlauf und Schlittenfahrt.

Das nahende Frühjahr brachte wieder die gewohnten Arbeiten auf den Feldern mit sich, die überwiegend von Hand erledigt wurden. Dazu gehörte auch, daß ich mit meiner Mutter in den Wald ging, um das von den Holzfällern liegengelassene Holz, den sogenannten "Schlagabraum" in passende Stücke zu sägen, um dasselbe dann mit dem Kuhgespann für den nächsten Winter nach Hause zu fahren. Das anfallende Reisig wurde gebündelt und zum Brotbacken verwendet.

Wenn ein Sommer sehr heiß und trocken war, wurde das Futter für's Vieh knapp. Man zog in aller Frühe los, um Feld- und Waldwege mit der Sense zu mähen. Bei schönem hohen Gras an schattigen Plätzen im Wald, kam auch die Sichel zum Einsatz. In einem extrem trockenen Jahr haben wir Laub von den Bäumen gestreift und verfüttert. Ebenso wurde das Moos und dürre Laub zusammen gerecht und zur Streu im Stall verwendet, weil das Stroh allzu klein geraten war.

In solch mühevollen Sommermonaten brachte dann ein ausstehendes Sänger- oder Feuerwehrfest die ersehnte Abwechslung für Jung und Alt. Wenn so ein Fest in Aussicht war, konnten die Mädchen auf ein neues Kleid hoffen, das dann beim Festzug durch das geschmückte Dorf stolz getragen wurde. Solche Feste fielen auch meist in die Erntezeit, und nach durchtanzter Nacht konnte man sich am nächsten Morgen nicht entschließen, zeitig im Kuhstall zu erscheinen. Postwendend erschien die Mutter an den Betten und verkündete laut und deutlich: "Die Weid wird gemäht!"

Mit dem Herbst kam auch die im Oktober stattfindende Kirmes wieder näher. Man bemühte sich, bis dahin die Feldarbeit weitgehend zu beenden und den Garten umzugraben. Bei den jungen Mädchen wuchs mit der nahenden Kirmes die Spannung, wer von den jungen Burschen den traditionellen "Vortanz" ersteigerte, und welches Mädchen wohl den Vorzug hatte, so das neue Kirmeskleid zu präsentieren.

Mit den Jahren hielt auch im kleinsten Dörfchen der Fortschritt mit all seinen technischen und materiellen Vorteilen Einzug und veränderte das Leben in der Landwirtschaft und Familie gründlich. Denke ich heute, mit zunehmendem Alter an diese vergangene Zeit zurück, so meine ich, daß die Menschen damals, trotz aller Mühen und Plagen, bescheidener und zufriedener waren als in der heutigen Gesellschaft mit all den Annehmlichkeiten, die das Leben doch eigentlich schöner machen sollten.

(Irma Frühwirt) 

 


(c) 2008 Heimat- und Geschichtsverein, 35789-Weilmünster-Langenbach