| Ich war damals wunschlos glücklich, denn ich hatte mir mein Leben so vorgestellt. Ein schönes Zuhause, ein paar Kinder, einen Mann, mit dem ich mein ganzes Leben zubringen wollte und, weil ich es von Kind auf so gewohnt war, etwas Land und Vieh, nur so viel, wie man benötigt, um eine Familie mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen.
Es war nun so
geplant: Der Stall und die Scheune waren in einigermaßen gutem Zustand und wir wollten alles so einrichten, daß wir im kommenden Jahr eine kleine Landwirtschaft betreiben konnten. Mein Vater hat damals das Heu von Brühl von den Wiesen, die er in Pacht hatte, in unsre Scheune gebracht, auch Stroh und Ackergeräte, die er gebraucht billig besorgt hatte, waren vorhanden und wir hatten einen guten Anfang gehabt. Mein Mann kam ab und zu übers Wochenende nach Hause. Das Vierteljahr war fast zu Ende,
ich hatte noch ein paar Sachen gerichtet, die er brauchte, aber er kam an diesem Sonntag nicht wie verabredet nach Hause und ich bin nach Weilburg gefahren. Auf dem Bahnsteig traf ich einen Bekannten, der dort Dienst hatte, und er fragte mich wo ich hin wolle. Er erklärte mir, daß in der vergangenen Nacht diese Einheit vom Windhof verladen hat und mit einem Sonderzug abgefahren war. Ich bin mit dem nächsten Zug dann heimwärts gefahren, für mich war das alles ein Rätsel. Ein paar Tage später
bekam ich eine Karte von Jena, nur mit einem Gruß an mich und die Kinder, und kein Absender und keine Anschrift. Und nun war es wie ein Blitz aus heiterem Himmel, über Nacht hatte der Polenfeldzug begonnen. Für die Oberen war es sicher keine Überraschung, sie
werden wohl über alles Bescheid gewußt haben. Aber wir waren ahnungslos und verzweifelt, und ich mußte mich mit der Gewißheit abfinden, daß nun mein Mann irgendwo als Soldat seine Pflicht erfüllen mußte. Radios gab's für uns noch nicht, und was die Zeitung brachte, gab kaum Aufschluß, was an der Front in Polen geschah. Für uns gab's nur noch Beten, Hoffen und Warten. Ich dachte auch an die, die damals auch zum Militärdienst eingezogen waren, an meine
Kameraden aus der Hintergasse; ob sie nun auch betroffen waren? Die Mobilmachung, die am ersten September ausgerufen wurde, galt ja für alle ausgebildeten Rekruten.
Mobilmachung bedeutet Krieg, das hatten ja unsere Eltern schon erfahren. Ich konnte es nicht fassen, was nun auf uns zukam. Auf dem Dorf war es damals so, ein jeder ging seiner Arbeit nach und wer hatte da die Möglichkeit, sich um
das zu kümmern, was in der Welt vorging? Es mag für diejenigen, die es lesen, kaum glaubhaft sein, heute werden alle, die sich für Neuigkeiten interessieren, von morgens bis abends durch Radio oder Fernsehen auf dem Laufenden gehalten. Die Zeit, von der ich schreibe, liegt ja über ein halbes Jahrhundert zurück und die junge Generation kann sich kaum ein Bild von dieser Zeit machen. Der Polenfeldzug dauerte vier
Wochen und mein Mann kam ein paar Tage auf Urlaub, er war aber nicht vom Militärdienst entlassen. Wir waren oft sehr traurig, es wäre alles so schön gewesen. Die Kinder, unser neues Zuhause, eine kleine glückliche Familie, so wie wir's uns gewünscht hatten, alles war nun durch eine ungewisse Zukunft in Frage gestellt. In diesen Tagen haben wir uns gemeinsam Gedanken darüber gemacht, wie es nun weitergehen
sollte. In der Scheune waren Futtervorräte gelagert, Heu und Stroh, aber unser Plan, mit Landwirtschaft zu beginnen, schien mir zu riskant. Mein Mann hatte überhaupt keine Vorstellung, er wollte mich nicht belasten. Die paar Tage Urlaub waren schnell zu Ende und ich habe dann alles weitere mit meinen Eltern und meinem Bruder besprochen. Der Stall war groß und in gutem Zustand. Mir waren von Bekannten zwei
junge Ziegen angeboten worden, die ich für einen angemessenen Preis kaufte. Ein Freund meines Vaters war Mitglied bei einem Kaninchen-Zuchtverein und er wollte uns behilflich sein. Im Stall fanden ein paar Hasenställe Platz. Ich wurde Mitglied in diesem Verein, ich betrieb eine reine Zucht schöne blaue Wiener und die Tiere, die ich verkaufte, waren mit guten Papieren ausgestattet, es war für mich eine gute Zubuße und
ich konnte nach und nach unsere Schulden von dem Haus abtragen. Ich konnte ja gut mit Tieren umgehen und so gab es keinerlei Schwierigkeiten.
Es war nun Herbst und mein Bruder brachte Kartoffeln und Äpfel, wir hatten ja einen guten Keller, in dem wir gut Vorräte lagern konnten. Auch ein Holzvorrat brachte er, den ich aber vorerst zurückließ. In Scheune und Stall lagen noch Abfälle, die ich so nach und nach mit der
Säge zerkleinerte. Für den kommenden Winter waren wir gut versorgt. An kühlen Abenden hab ich dann unseren großen Ofen angeheizt, ich öffnete die Zwischentür und beide Zimmer waren schön warm. Wenn die Kinder Abends schliefen, hab ich dann einen Brief geschrieben. Die Einheit meines Mannes war inzwischen ins Rheinland verlegt worden. Es gingen ein paar Wochen dahin, aber so viel war uns klar, daß mit dem
Polenfeldzug irgendwelche Mißstimmung, über die wir ja keinen Bescheid wußten, noch nicht aus der Welt geschafft war. Wir bekamen Lebensmittelkarten und das war schon ein Beweis, daß wir uns auf längere Zeit einrichten mußten.
Es war Adventszeit und mein Mann schrieb, daß für Verheiratete mit Kindern Urlaub über Weihnachten in Aussicht gestellt war. Ich hatte alles
schön vorbereitet, ein Bäumchen geschmückt und Plätzchen gebacken. Meine Eltern kamen am Mittag und brachten für jedes ein kleines Geschenk. Sie mußten aber, bevor es dunkel wurde, wieder nach Hause. Ich hab nun mit meinen zwei lieben Kleinen gewartet, sie waren auf meinem Schoß eingeschlafen und ich hab sie ins Bett gebracht. Es verging eine Stunde nach der anderen und morgens um halb fünf Uhr hatte
mein Warten endlich ein Ende. Ein Vorgesetzter war mit den Leistungen nicht zufrieden gewesen, er hat die Soldaten, die in Urlaub fahren wollten, so lange in Anspruch genommen bis es für sie keine Zugverbindung mehr gab. Mein Mann kam damals zu Fuß von Limburg und am zweiten Feiertag in der Frühe mußte er wieder weg, das war Weihnachten '39 kein frohes Weihnachtsfest, nur ein paar Stunden des
Wiedersehens und ein sehr trauriger Abschied. Silvester war damals ein Übergang, ein Schritt in die Ungewißheit in eine Zeit, der man mit Bangen entgegensah.
Inzwischen waren nun so viele junge Männer zum Militärdienst eingezogen, sie mußten dem Aufruf Folge leisten. "Für Volk und Vaterland", hieß die Parole. So ging es noch eine Zeit weiter. Ein paar Briefe hin und her, das war noch die einzige Verbindung, die uns geblieben war. Ich
gab mir Mühe, ich schrieb von den Kindern, wie sie Fortschritte in ihrer Entwicklung machten und was es Neues im Stall gegeben hat. Aber die Briefe, die ich von meinem Mann erhielt - es waren Sorgen um die Zukunft, ich empfand es so, daß er das, was er wußte, nicht dem Papier anvertrauen durfte. Ende Februar war uns noch einmal ein Wochenendurlaub vergönnt, ich weiß noch genau, er war an seinem Geburtstag am 27.02. daheim.
Eine Zeit später bekamen wir Einquittierung. Zwei Soldaten von einer Werkstattkompanie wurden uns zugeteilt. Der eine kam von Stettin, der andere von Stralsund. Anfang Mai wurde diese Kompanie über Nacht nach Westen in Gang gesetzt. Am 10. Mai begann der Westfeldzug gegen Frankreich. Eine lange Zeit zwischen Hoffen und Bangen kam, nun es gab ja keine Briefverbindung mehr. Am 22. Juni war nun im Westen der
Krieg zu Ende. Eine Zeit später bekam ich einen Brief von Gießen aus einem Lazarett, mein Mann war bei Aras schwer verwundet worden. Ich hatte nun die Möglichkeit, einen Besuch zu machen. Mein Mann hatte etliche schwere Operationen hinter sich und dementsprechend war sein Zustand. In dem Raum stand ein Bett dicht an dem anderen, es werden 10 gewesen sein. Auf dem Bett neben meinem Mann lag ein ganz junger
Mann, er hatte bestimmt große Schmerzen, er jammerte, es kamen ein Doktor und eine Schwester, aus dem Jammern wurde ein verzweifeltes Schreien und der Arzt sagte: "Gib Entwarnung, der Angriff ist beendet." Er ging weg und ich sah einen blutigen Beinstumpf auf dem Bett liegen, scheinbar sollte der Verband gewechselt werden. Mich hat das damals so furchtbar erschüttert und wenn meine Erinnerungen in diese
Zeit zurückgehen, muß ich auch heute noch daran denken. Die Ärzte und Schwestern hatten es schwer, aber das, was dieser Arzt sagte, war doch ganz fehl am Platze. Die Zeit meines Besuchs war ja kurz bemessen und die Hoffnung bestand, daß nun die Behandlung in diesem Krankenhaus vielleicht nicht mehr allzu lange erforderlich war. Ich schrieb oft einen Brief, legte einen Briefumschlag mit Anschrift dazu, es
waren nur ein paar Worte die, ich als Antwort erhielt, aber es war ein Lebenszeichen und das war damals meine ganze Hoffnung.
Ende Juli kam mein Mann nach Bad-Orb und ich hab ihn dort besucht. In einer sehr schönen Pension fand er dort Erholung. Ich konnte ihm nun endlich ein Geheimnis anvertrauen. Er hatte mir bei seinem letzten Urlaub ein kleines Geschenk zurückgelassen. Für mich hatte es bis
dahin keine passende Gelegenheit gegeben. In einem Brief, das wäre mir zu unpersönlich gewesen. Ich erwartete ein Kind. Ich bitte euch, eure Vorurteile könnt ihr euch sparen. Ich habe meine Kinder als ein Geschenk angenommen, für mich waren meine Kinder keine Last, auch nicht in dieser schweren Zeit. Was zum Anziehen gebraucht wurde, es gab Bezugscheine, aber was man darauf bekam, reichte nicht aus und der
Wäscheschrank mußte herhalten. Ich hab Windeln gewaschen und so was wie Fertignahrung gab's nicht, ich habe meine Kinder so ernährt, wie es auch die Mutter getan hatte und sie sind gesund groß geworden. Die Kinder, die in diesen Jahren geboren wurden, waren größtenteils Urlaubskinder. Das Wort Familienplanung und alles, was damit zusammenhängt, gab es damals nicht und vielleicht war's gut so. Die Kinder
die in dieser Zeit geboren wurden, konnten bei Weitem die Lücken nicht schließen, die durch den Krieg entstanden waren.
Mitte Oktober kam mein Mann nach Hause, am 28. November kam unser Kind zur Welt und am vierten Advent war Taufe. Wir hatten so sehr gehofft, daß wir nun zusammenbleiben konnten, aber nach einer Untersuchung im Frühjahr wurde mein Mann wieder als Sanitäter verpflichtet
. Wir hatten uns in der Zwischenzeit ein Radio gekauft, ein kleines braunes Holzkästchen, mit ein paar Knöpfen versehen, an den Strom angeschlossen und ein dünner Draht, der unter dem Fenster nach außen geleitet wurde, das war für uns so was wie ein kleines Wunder. Bis dahin hatte ich nur etwas von dem Krieg gegen Polen und Frankreich gewußt und nun wurden in den Nachrichten, die wir sehr gut empfangen
konnten, Länder genannt, von denen ich nicht mal eine Ahnung hatte, wo sie liegen mochten. Einen alten Atlas aus der Schulzeit meines Mannes, der noch auf dem Speicher lag, haben wir zu Hilfe genommen und gemeinsam haben wir die genannten Länder und Städte gesucht. Ich hatte ja in meiner Schulzeit das Fach Erdkunde als unwichtig und uninteressant gefunden und hatte nun Schwierigkeiten, mich mit den Meldungen zurechtzufinden.
Es wurden über Kriegshandlungen in Dänemark in Schweden Luftangriffe auf England gemeldet. Unser Deutschland war so klein auf der Landkarte, es war kaum vorstellbar, wo unsere Soldaten in der ganzen Welt ihre aufgetragene Pflicht erfüllen mußten. Durch Sondermeldungen wurde lautstark verkündet, daß "hier wieder ein Vorstoß mit großem Erfolg durchgeführt war", aber von den Verlusten auf
deutscher Seite hörte man nichts. Unser damaliger Ortsgruppenleiter war beauftragt, er mußte die traurige Pflicht erfüllen und persönlich die furchtbaren Nachrichten, die nach wochenlangem Bangen und Warten eintrafen, den Angehörigen überbringen. Es war eine ganz furchtbare
Zeit. Abends gab's oft Fliegeralarm. Wenn man genau hinhörte, war's ein einzelner Flieger, der bestimmt in großer Höhe sein Ziel ansteuerte. Er warf an dem vorgesehenen Ziel eine Leuchtkugel ab, die lange brannte und die Bomber, die in etlichen Wellen dieses gesteckte Ziel anflogen, warfen nun ihre furchtbare, zerstörende, todbringende Last ab.
Alle Fenster mußten verdunkelt sein, kein Lichtschimmer durfte verraten, wenn nachts die Flieger über uns
hinweg flogen, daß sie sich über bewohntem Gebiet befanden. Einen Bunker gab es hier nicht, nur einen Stollen, der als Schutz vorgesehen war. Ich hab, wenn die Sirene Vorwarnung gab, meine Kinder eingezogen, wir haben uns ganz eng zusammengekuschelt und nur mein Glaube und Gottvertrauen hat mir über diese schwere Zeit hinweggeholfen. Bis es Entwarnung gab, waren meistens meine Kinder eingeschlafen. Sie waren
noch so klein und wußten noch nichts von dieser furchtbaren Gefahr. Von besonders gefährdeten Städten wurden Frauen und Kinder evakuiert. Eine Frau mit zwei kleinen Kindern hat damals bei uns Unterkunft gefunden. Wir lebten zusammen wie eine große Familie. Das Wenige, was wir auf die Lebensmittelkarten bekamen, wurde so eingeteilt, daß in erster Linie die Kinder keine Not hatten. Kinder unter 6 Jahren bekamen
keine Fleischzuteilung und Erwachsene hatte man pro Woche mit 250 g bedacht. Ich hab mich Samstags auf den Weg nach Weilmünster gemacht, um meine Zuteilung abzuholen. Im Posthaus hatten wir auch vor dem Krieg unser Fleisch geholt, der Besitzer des Geschäfts war ein Schulkamerad meines Vaters, er hat mich, wenn etliche Kunden im Geschäft waren, absichtlich warten lassen und wenn ich dann zu Hause meine kleine Ration auspackte, fand ich manchmal etwas Rindertalg oder einen
Knochen, der noch nicht so ganz abgeschabt war, oder eine Schwarte mit einem Eckchen Speck. Was diese kleine Zugab für mich damals war, könnt ihr euch nicht vorstellen. Der Hermann lebt ja schon lange nicht mehr, aber ich hab es bis heute nicht vergessen. Ich hatte ein Stück Garten, wir hatten den Sommer über etwas frisches Gemüse und auch Ziegenmilch. Für mich war diese Frau, die bei mir wohnte eine große
Hilfe. Ich konnte nun unbesorgt in aller Frühe für die Tiere Futter holen und ich wußte meine Kinder gut verwahrt. Mein Bruder war nun auch schon eine ganze Zeit Soldat und wenn es nötig war, konnte ich auch meinen Eltern in der Landwirtschaft mithelfen. Meine zwei Großen nahm ich mit aufs Feld und das Kleinste wußte ich in guten Händen. Änne hieß die Frau, ihr Mann gehörte der Marine an, sie war schon Monate lang
ohne Nachricht. Wir schrieben abends, wenn die Kinder schliefen, Briefe, die wir am anderen Morgen auf die Post brachten und oft mußte man eine ganze Zeit auf Antwort warten. Eines Abends drehte die Änne am Radio, so wollte den Sender besser einstellen und durch Zufall hatte sie einen Engländer, der in deutscher Sprache Nachrichten durchgab, in der Leitung. Es war wohl streng verboten, fremde Sender abzuhören, aber
wir hatten bald herausgefunden, daß die Meldungen auf unserem Sender nicht immer der Wahrheit entsprechen konnten. Ab und zu kam mein Mann auf Kurzurlaub, er hat es auch bestimmt schwer gehabt als Sanitäter im Lazarett. Seine Verwundung hatte ja Spuren hinterlassen und er war nicht der Mensch, der über das Leid was er täglich vor Augen hatte, ohne Mitgefühl hinwegsehen konnte.
Eines Tages bekam auch Änne Besuch. Ihr Mann war überraschend gekommen, nur für einen Tag. Es war wunderschönes Wetter und ich machte mit meinen Kindern einen Spaziergang nach Hause. Ich wollte ihnen doch ein paar ungestörte Stunden gönnen. Ich ging zum Friedhof, das Grab meines lieben Großvaters war schön gepflegt, ich hab dort lange verweilt, Erinnerungen wurden wach, was hätte mir der Großvater
wohl zu sagen gehabt, wenn er von all diesen Sorgen die mich plagten gewußt hätte? Er hatte für alles, waren es freudige oder traurige Begebenheiten, die rechten Worte. Vielleicht hätte er gesagt: "Vertrau auf Gott in deiner Not". Ich glaubte es damals bestimmt, so hätte er gesagt.
Was war aus den lieben Menschen, die ich als Kind schon so gerne mochte, geworden? Das Dorf kam mir wie ausgestorben vor. Keine Tür,
kein Fenster öffnete sich, niemand kam mir entgegen, so wie es früher war, die erste traurige Nachricht war angekommen und wer hätte da nicht mit tiefstem Mitgefühl Anteil genommen. Alle waren mit Angst und Sorge belastet, sie hatten doch auch ihre Söhne an irgendeiner feindlichen Front, vielleicht waren sie es morgen oder übermorgen und auch ihnen wurde so eine traurige Nachricht ins Haus gebracht.
Die Fliegerangriffe auf deutsche Städte wurden häufiger, immer mehr Menschen suchten Unterkunft auf dem Land. Französische Gefangene waren hier in dem Saal Müller zum Schlafen untergebracht, zum Arbeiten waren sie hier und in Rohnstadt den Bauern zugeteilt. Auch Polen waren als Arbeitskräfte bei den Bauern. Später haben wir erfahren, daß der größte Teil in Munitionsfabriken arbeiten mußte. Bei uns in der
Nachbarschaft war auch ein Polenmädchen, es hat oft geweint, es hatte Heimweh. Als es nun die deutsche Sprache einigermaßen beherrschte, hat es uns erzählt, daß es daheim auf dem Feld gearbeitet hatte und es vom Feld mit einem Auto einfach fortgefahren war und die Mutter hatte doch nichts davon gewußt. Tekla hat es geheißen, es hat es sehr gut gehabt bei Flohrs und hat auch ein paar Jahre fleißig mitgeholfen, sogar
ein Kind hat es in diesem Haus geboren. Der Erzeuger war ein Franzose, sie hat da ganz offen drüber gesprochen.
Was nun die Menschen, die direkt diese Bombenangriffe miterlebt hatten, zu erzählen wußten, es war grauenhaft. Eine Frau von Wuppertal hat ein paar Tage bei uns gewohnt. Sie hat uns erzählt, daß ganze Häuserreihen gebrannt hatten, die Menschen wären in ihrer Not auf die Straße,
aber da war auch keine Rettung, durch den Abwurf von Phosphor hätte auch die Straße gebrannt, die Menschen seien in ihrer Verzweiflung in den Fluß gesprungen und ertrunken. Ein ganzes Buch würde nicht ausreichen, wenn ich alles erzählen wollte, was mir da in Erinnerung kommt. Ich möchte mich nicht so genau mit Einzelheiten aufhalten, ich glaube, niemand wird es heute verstehen, und darum möchte ich nun nur die letzte Zeit von diesen verheerenden Krieg aufschreiben.
1944 hatte sich noch eine Widerstandsbewegung gebildet, aber niemand konnte diese Kriegsmaschine noch aufhalten, sie mußten ihr Vorhaben mit dem Leben bezahlen. Das Ende des Jahres war katastrophal. Die Zuteilungen, die den Normalverbrauchern zugedacht waren, konnte man nur noch teilweise kaufen, die Läden waren leer. Wer etwas zum Tauschen hatte, konnte bei den Bauer für Wucherpreise noch etwas zusätzlich
bekommen. Ich möchte nun, was ich selbst erlebt habe, aufschreiben. Es war kurz vor Weihnachten, ich hatte für jemanden einen großen Korb Wäsche geflickt, ungefähr eine Woche Arbeitszeit, ich hätte gern meinen Kindern ein paar Plätzchen gebacken. Ich lieferte die Wäsche ab und erlebte eine große Enttäuschung. Mir wurde gesagt ein Ei kostet 15 DM und ½ Pfund Mehl kostet 13 DM und da bist du doch gut bezahlt, und
das war der Lohn für eine Woche Arbeit. In Zeiten der Not lernt man die Gesinnung der Menschen kennen. Ich war wohl hier zu Hause, aber wie hab ich mich damals nach meinem Heimatdörfchen zurückgesehnt. Wir bangten und hofften und warteten. Mein Bruder schrieb von Rußland, aber bis die Briefe ankamen, waren sie 14 Tage und länger unterwegs. Mein Mann schrieb aus einem Lazarett von Sülzheim im Harz. An einen Besuch war nun nicht mehr zu denken.
Manchmal gab es zwei- oder dreimal am Tag Fliegeralarm. Es waren nicht nur Bomber, die ihr gestecktes Ziel anflogen, auch Jäger nahmen nun Bahnlinien unter Beschuß, sogar Bauern, die auf dem Feld arbeiteten, wurden aufs Korn genommen, es war eine furchtbare Zeit. Was die Bahnlinien betraf, kann ich empfehlen, in dem Buch "Aus fast vergessenen Zeiten" (Seite 143) nachzulesen. Wir sehnten nur noch das Ende
herbei. Am 30. Januar kam mein fünftes Kind zur Welt. Ich hätte so sehr ärztliche Hilfe gebraucht, aber unser zuständiger Arzt war unabkömmlich. Auf der Anstalt war damals ein Lazarett und es kamen laufend Züge mit Verwundeten dort an.
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