| IIn den frühen zwanziger Jahren hat es in unserem Dorf auch so manchen Fortschritt gegeben. Eine genaue Jahreszahl kann ich leider nicht angeben, es wird in den Jahren 1922-25 gewesen sein. Da wurden in allen Gassen tiefe Gräben ausgeschachtet und Rohre verlegt. Wir bekamen eine Wasserleitung. Bis dahin hatten wir eine
Pumpe im Hof und waren so auch recht gut mit Wasser versorgt. Im Winter gab es wohl manchmal Schwierigkeiten. Wenn es sehr kalt war, versagte die Pumpe ihren Dienst; dann mußte aufgetaut werden. Es wurde ein Vorrat bereitgestellt. Der Kessel, alle Eimer und Bütten wurden mit Wasser gefüllt und die Pumpe fürsorglich eingepackt und nun hatte sich ja diese Arbeit in Zukunft auch erübrigt. Aber trotzdem haben wir noch etliche Jahre der Pumpe ihren Platz im Hof gegönnt. Wenn wir im Sommer recht
durstig vom Feld nach Hause kamen, hat sie uns und auch unsere Tiere mit ihrem guten Wasser gelabt.
Nun tauchten Arbeiter auf, die sich auf unseren Dächern zu schaffen machten. Es wurden Eisenständer aufgestellt und an irgendwelchen Vorrichtungen Drähte von einem Haus zum anderen gespannt. Elektrisches Licht wurde gelegt, für uns Kinder natürlich etwas Unbegreifliches. Strom war doch kein sichtbarer Gegenstand und wie sollte nun so was hell machen? Petroleumlampen, wo ein Docht in
dieser brennbaren Flüssigkeit hing, die konnte man leicht anzünden; auch die Kerzen, das ist ja für uns klar gewesen. Sie erhellten abends unsere Stuben und nun wurde in unserer Stube über dem Tisch eine Lampe angebracht, weiß mit rundherum schönen Perlen außen, da gab's nichts zum Anzünden; nur ein kleines Knöpfchen in der Nähe von der Tür, wo man draufdrücken mußte, um die Lampe ein- oder auszuschalten. Für uns war das damals so was wie ein kleines Wunder und für die heutige Generation wäre
doch ein Haushalt ohne Strom undenkbar.
Ich kann mich erinnern, daß in diesen Jahren mal ein Fest stattgefunden hat. Wir Kinder waren so ziemlich die Kleinsten, die an diesem Festzug teilnahmen. Aber die Veranstalter, ich glaube, dieser Verein besteht schon lange nicht mehr; und ich weiß nicht: Hat er "Radfahrerverein" oder gar "Fahrradverein" geheißen? Es ist ja auch egal. Auf jeden Fall, alle Vereine fuhren im Festzug auf Fahrrädern und waren ganz besonders
angezogen. Auch Fahnen wurden mitgetragen; das war ein unvergeßlich schönes Erlebnis. Ich kann mich erinnern, daß Otto Eichhorn sich damals um uns Kinder bemüht hat. Er war bestimmt aktiv in diesem Verein tätig. Wir hatten von morgens 8:00 bis um 12:00 Uhr und mittags von 13:00 bis 15:00 Uhr Schule. Nur Samstagmittags war schulfrei. Mittwochs haben wir Mädchen von 13:00 bis 15:00 Uhr die Strickschule besucht. Frau Schuster, die auf dem Flachsberg wohnte, war unsere Lehrerin. In der damaligen
Zeit war es sehr wichtig, daß die Mädchen stricken und flicken lernten, da war es eben anders als heute. Es wurde, wenn's ganz nötig war, mal ein Stück Stoff gekauft und es war dann gut, wenn man selbst das gewünschte Kleidungsstück anfertigen konnte. Es gab wohl Schneiderinnen, aber das Geld war ja so knapp. Wer in der Strickschule gut aufgepaßt hat, konnte auf diesem Gebiet die Grundlage fürs Leben erlernen, denn unsere Frau Schuster war eine sehr gute und geschickte Handarbeitslehrerin.
Zu den Erntezeiten bekamen wir Ferien und konnten so unseren Eltern helfen. Bei der Heuernte bekamen wir Kinder leichte Rechen und wir halfen beim Wenden und wenn der Wagen geladen wurde, haben wir den Kühen die lästigen
Fliegen gewehrt, damit sie ruhig stehen blieben. Wenn dann der Heimweg nicht zu steil bergauf ging, durften wir auf dem Wagen sitzen. Wenn dann abgeladen wurde, haben wir Kinder die Ecken auf dem Haabieche, die mit der Heugabel nicht zu erreichen waren, ausgestopft. Zwischen Heuernte und Kornernte war dann eine Zeit , wo die Arbeit auf dem Feld uns Kinder nicht in Anspruch nahm und wir haben uns an den langen Sommerabenden
mit unseren Kameraden getroffen. Ball gespielt, Versteck oder mit sonst einem anderen Spiel die Zeit vertrieben. Bei der Korn- oder Kartoffelernte haben wir wieder fleißig mitgeholfen. Wir haben das abgetrocknete Kartoffelkraut zu Haufen zusammen getragen und Feuerchen gemacht und haben Kartoffeln mitgebraten, die waren was ganz Besonderes, wenn wir sie aus der Asche holten.
Mein Bruder und ich hatten wohl nicht übersehen, daß der Vater und auch der Großvater oft an der Scheune zum Ausbessern waren und alles hatte keinen Erfolg. Die Scheune war klein und sehr alt, es war nun ein Neubau geplant. Im Frühjahr haben wir unser Vieh bei Nachbarn untergestellt und die alte Scheune wurde abgerissen. Aber das Bauen war damals ganz anders als heute, es gab ja noch keine Maschinen. Das
Baumaterial wurde vom Aumenauer Bahnhof mit Kuhfuhrwerken herbeigeschafft. Ich ging ja morgens zur Schule, aber mein Bruder bekam oft frei, wenn er für irgend etwas gebraucht wurde. Damals war es so, daß die Handwerker auch noch verköstigt wurden, und meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun. Unser Lehrer hatte Verständnis dafür, daß, wenn's Not war, auch die Kinder mithelfen mußten. Wenn er merkte, daß
ich keine Hausaufgaben hatte, sah er eben drüber hinweg. An Ostern wurde mein Bruder konfirmiert und aus der Schule entlassen. Nicht mit so einem Fest, wie es heute üblich ist. Konfirmation mit Abendmahl war ein stiller Tag. Mittags wurde mit den Paten zusammen Kaffee getrunken, noch ein bißchen geplaudert und das war's dann. Unser Neubau hatte nun schon Form angenommen, aber die Zeit drängte. Bis zur Heuernte
mußte ja das Dach drauf sein. Mein Vater mußte ja arbeiten gehen, er hatte Glück gehabt und einen Arbeitsplatz gefunden als Emailleur auf der Audenschmiede. Bei Tagesgrauen begann unsere Arbeit. Für Vater und Großvater gab es so mancherlei auf dem Bau zu richten. Meine Mutter, mein Bruder und ich, wir versorgten das Vieh, welches in verschiedenen Ställen untergestellt war und was sonst noch alles anfiel. Ich
hab es ja als Kind noch nicht so empfunden, aber es war eine sehr schlechte Zeit. Durch die Inflation hatten die Leute ihr Erspartes verloren und so viele waren arbeitslos. Mein Bruder mußte damals eine Lehrstelle antreten. Obwohl er zu Hause gebraucht wurde, durfte man diese Gelegenheit nicht ausschlagen. Es wird Mitte Mai gewesen sein; mein Bruder und ich hatten frisches Futter auf der Graswiese geholt.
Graswiese, ich will es erklären: Es war ein Stückchen Wiese, wo sich bei der Schneeschmelze das Wasser gestaut hatte und wenn es dann warm wurde, konnten wir das erste Futter mit dem Handwagen dort holen. Bis ich zur Schule mußte, war das unsere Arbeit. Wir mußten über einen Hang hoch und das konnte einer allein nicht schaffen. In der Woche zuvor hatten die Zimmerleute das Dachgebälk aufgeschlagen. Auf der
Spitze waren Bäumchen mit bunten Bändern, Richtfest war gewesen. Der Zimmermeister Konrad Lindeborn stand ganz oben und hat einen Spruch gesagt. Ich glaube, es war an einem Samstag gewesen. Und Montags in aller Frühe hab ich mit meinem Bruder Futter geholt. Als wir dann in die Nähe von unserem Hof kamen, standen da so viele Leute und wir hörten, daß irgend jemand stöhnte. Da kam unser Nachbar, der
Karlpetter, uns entgegen und sagte: "Fahrt weiter, euer Vater ist verunglückt, er muß ins Krankenhaus und füttert ihr das Vieh." Mitten im Dorf kam uns ein Pferdefuhrwerk im vollen Galopp entgegen. Auf dem Wagen lag Stroh und mit diesem Wagen wurde damals mein lieber Vater fortgefahren, das weiß ich vom Erzählen. Mein Bruder und ich gingen nach Hause, überall standen Leute zusammen und ich mußte zur
Schule, ich war so und so schon zu spät und unser Lehrer legte auf Pünktlichkeit großen Wert. Aber scheinbar hatte er auch schon von unserem Unglück gehört. Die Kinder starrten mich an, ich setzte mich an meinen Platz, legte meinen Kopf auf die Bank und hab bitterlich geweint. Ich war mit allen so vertraut und ich spürte die Anteilnahme. Sogar unser Lehrer, der mit mir manchmal gar nicht einer Meinung war,
legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: "Gehe nach Hause und hilf deiner Mutter bei der Arbeit." Nachmittags stand er bei meinem Großvater im Hof und ich war bis auf weiteres von der Schule beurlaubt. Damals war für jeden die kleine Landwirtschaft die Lebensgrundlage. Irgendwelche Versicherungen so wie Krankengeld oder Arbeitslosengeld gab es nach meinem Wissen nicht. Für mich waren nun von einem
Tag zum anderen die Kinderjahre vorbei. Mein Großvater war schon über 70 Jahre, meine Mutter mit Arbeit überlastet und mein Bruder ging in die Lehre. Die Arbeit auf dem Feld war mir nicht fremd, aber ab und zu brauchte ich eine leitende Hand. Und manchmal kamen mir Zweifel und wenn ich dann zum Großvater sagte: "Ob wir's noch schaffen?", dann sagte er: "Ja, wenn wir fest zusammenstehen und so Gott will,
werden wir's schaffen." Wir standen vor der Heuernte und ich versuchte zum ersten Mal, mit einer Sense umzugehen. Aber die Spitze landete im Boden, sie war für mich zu groß und zu schwer. Ich bekam eine neue leichte und ich habe, so gut ich konnte, schon mitgeholfen. Und immer fanden sich Helfer ein, liebe hilfreiche Menschen, nicht nur Verwandte und Nachbarn. Ich glaube, es gab damals nicht ein Haus, aus dem uns
damals nicht eine helfende Hand gereicht wurde. Die Jauchegrube war nun fertig und wir konnten unser Vieh heimholen Es war eine große Erleichterung für uns. Sonntags fuhr meine Mutter ins Krankenhaus, meinen Vater besuchen, und immer kam sie traurig und niedergeschlagen heim. Wie schwer mein Vater verletzt war, hat niemand mir erzählt. Sicher wollte man mich nicht belasten. Ich schlief nun bei meiner Mutter.
Der Großvater hatte es so gewollt und ich habe gemerkt, daß sie nachts oft weinte. Dann kam die Kornernte und ich konnte nun schon sehr gut mit der Sense zurechtkommen. Ich habe das Korn widergemäht, der Großvater machte Witte und meine Mutter nahm ab. Die Mutter und der Großvater banden dann die Garben und ich trug sie in die Mitte zusammen, immer 9 Stück. Wie stolz war ich, wenn wir abends heimgingen
und auf unserem Acker stand eine lange Reihe Hausten. Acht bis vierzehn Tage mußte das Korn auf dem Acker trocknen, dann wurde es eingefahren. Einmal hatten wir eine große Enttäuschung. Am Weilmünsterer Weg hatten wir ein großes Stück wunderschönen Weizen, die Hausten waren schön mit Hüten versehen. Als wir die Garben heimfahren wollten, waren rundum die Kumpen abgeschnitten, also fast nur noch leeres Stroh. Es kam daher: In
den Städten war große Arbeitslosigkeit, die Menschen hatten Hunger und holten sich nachts von den Feldern, was sie zum Leben brauchten. Das Grummet wurde geerntet, dann ging's an die Kartoffelernte und es fanden sich wieder freiwillige Helfer ein. Zwischendurch waren die Zwetschgen reif und es wurde Hoing gekocht. Die Dickwurz und das Gemüse, welches wir für den Wintervorrat auf den Acker angepflanzt hatten, wurden noch
abgeerntet und alles war recht gut geraten. Auf die abgeernteten Äcker mußte nun Korn und Weizen gesät werden. Meine Mutter hatte nun ihre Arbeit, das Gemüse wurde in Fässer eingemacht. Der Großvater und ich haben geackert. Ein paar Furchen ging er mit und hielt eine Hand am Pflug. Ich hatte es aber schnell begriffen und der Großvater konnte sich ein bißchen ausruhen. Unsre Kühe waren ruhige, treue Tiere, die aufs Wort hörten und so
gab's keine Schwierigkeiten. Ich hatte nun wieder etwas gelernt. Nicht nur der Großvater war ganz zufrieden mit mir, ich selbst war froh und glücklich. Nun mußte das Korn gesät werden und ich glaube, der Großvater hatte Bedenken. Ich hing mir die Saat über die Schulter und füllte das Korn ein, so wie ich es in den Jahren vorher bei meinem Vater gesehen hatte. Der Großvater kannte sich ja aus
, er nahm eine Handvoll Körner und gab sie mir in die rechte Hand Das war wohl das Maß, aber meine Hand war ja kleiner und ich konnte nicht alle Körner fassen, aber mein Schritt war kürzer und das gab den Ausgleich. Der Abstand von den einzelnen Gängen wurde erklärt und mit der rechten Hand mußte die Saat im gleichmäßigen Bogen ausgestreut werden. Eigentlich ist es keine große Kunst, wenn man's weiß. Für
mich war das Säen schon immer von großer Bedeutung gewesen, das hat uns der Lehrer ja schon erzählt. Ohne Saat keine Ernte und ohne Ernte kein Brot. Ja, das Brot, um dieses wird auch heute noch gebetet. Es ist ja auch heute noch eine Lebensgrundlage, aber werden es unsre Nachkommen wissen, von was dieses Brot kommt? Es wird ja heute in unzähligen Geschmacksrichtungen angeboten und niemand kann den
Fortschritt aufhalten. Aber das Brot, welches wir gebacken haben, war rein, ohne irgendwelche Zusätze, das Korn, was in der Mühle zu Mehl gemahlen wurde, haben wir zu unserem guten täglichen Brot gebacken.
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